Das Einschießen einer Jagdwaffe ist ein entscheidender Schritt, um präzise und waidgerechte Schüsse abgeben zu können. Eine der zentralen Entscheidungen beim Einschießen ist die Wahl der Einschussdistanz und der Zielpunktlage. Dabei stehen zwei häufig diskutierte Konzepte im Fokus: das Einschießen auf günstigste Einschussentfernung (GEE) und das Einschießen auf 100 Meter „Fleck“. Beide Methoden haben spezifische Vor- und Nachteile, die von der Jagdpraxis, den verwendeten Kalibern und den jagdlichen Vorlieben abhängen.
Grundlagen der Ballistik
Das Projektil einer Jagdwaffe beschreibt eine gekrümmte Flugbahn, die durch Schwerkraft und Luftwiderstand beeinflusst wird. Um diese Flugbahn optimal für jagdliche Zwecke zu nutzen, wird die Waffe so eingestellt, dass der Lauf leicht nach oben weist. Dadurch schneidet das Projektil die Visierlinie in der Regel zweimal: einmal beim ersten Visierlinienkreuz (steigender Zweig der Flugbahn) und einmal beim zweiten Visierlinienkreuz (fallender Zweig der Flugbahn).
- Günstigste Einschussentfernung (GEE): Die GEE ist die maximale Distanz, bis zu der das Projektil seine Flugbahn nicht mehr als einen bestimmten Wert, meist ±4 cm (Halbe Trefferzone des Wildes), von der Visierlinie abweicht.
- Einschießen auf 100 Meter „Fleck“: Hier wird die Waffe so eingestellt, dass das Projektil auf 100 Meter exakt auf den anvisierten Punkt („Fleck“) trifft. Die Treffpunktlage entspricht damit genau dem Zielfernrohrmittelpunkt auf 100 Meter.
Das Einschießen auf GEE
Definition:
Beim Einschießen auf GEE wird die Treffpunktlage so gewählt, dass die Flugbahn des Geschosses in einem bestimmten Bereich (z. B. 50 bis 180 Meter) immer in einem vorgegebenen Zielkorridor bleibt. Für viele Jagdkaliber beträgt dieser Korridor etwa ±4 cm, was der halben Trefferzone eines Wildes (z. B. Rehwild oder Rotwild) entspricht.
Vorteile:
- Maximale Reichweite ohne Korrektur: Jäger können auf unterschiedliche Entfernungen schießen, ohne Korrekturen an der Visierung vorzunehmen.
- Ideal für offene Reviere: Besonders bei mittleren bis langen Schussdistanzen, wie in Feldrevieren, ermöglicht die GEE eine hohe Flexibilität, da der Haltepunkt auf Entfernungen von 50 bis 180 Metern meist unverändert bleibt.
- Einfacher Haltepunkt: Bei korrekt ermittelter GEE bleibt der Haltepunkt innerhalb der jagdlichen Praxis konstant.
Nachteile:
- Eingeschränkte Präzision auf kurze Distanzen: Auf sehr kurze Entfernungen (z. B. unter 30 Meter) liegt das Projektil oft unterhalb der Visierlinie. Dies kann bei Drückjagden oder sehr nahen Wildszenarien problematisch sein.
- Erschwerte Ballistikberechnung: Die genaue GEE hängt stark vom verwendeten Kaliber, der Geschossart und der Munition ab. Es erfordert Ballistikkenntnisse und gegebenenfalls eine Überprüfung mit einer Ballistik-App oder Tabelle.
Einschießen auf 100 Meter „Fleck“
Definition:
Beim Einschießen auf „100 Meter Fleck“ wird die Treffpunktlage auf diese Entfernung genau auf den Zielpunkt abgestimmt. Auf anderen Distanzen liegt die Treffpunktlage oberhalb (bis etwa 100 Meter) oder unterhalb (ab etwa 120 Meter) der Visierlinie.
Vorteile:
- Intuitiver Zielpunkt: Besonders für Jäger, die keine Ballistikberechnungen durchführen möchten, bietet der „Fleck“-Schuss auf 100 Meter eine einfache und leicht verständliche Grundlage.
- Ideal für kurze bis mittlere Distanzen: Für Jagdszenarien, bei denen die Schussentfernung meist unter 150 Meter bleibt, ist das Einschießen auf 100 Meter präzise und effektiv.
- Präzision bei der Ansitzjagd: Bei typischen Ansitzentfernungen zwischen 80 und 120 Metern ist der Haltepunkt meist nahezu perfekt.
Nachteile:
- Begrenzte Reichweite ohne Korrektur: Ab Entfernungen von etwa 150 Metern muss der Schütze mit einer fallenden Geschossflugbahn rechnen und Haltepunktkorrekturen vornehmen.
- Ungeeignet für lange Distanzen: In weiten Revieren mit Schussentfernungen über 200 Meter wird ein auf 100 Meter eingeschossenes Gewehr schnell unpräzise, da der Geschossabfall hier stark zunimmt.
Vergleich der Methoden
Kriterium | Günstigste Einschussentfernung (GEE) | 100 Meter „Fleck“ |
---|---|---|
Flexibilität auf Distanzen | Hoch, da Haltepunkt konstant bleibt | Mittel, Haltepunkt variiert ab 150 m |
Einsatzbereich | Offene und weite Reviere | Ansitz und kurze bis mittlere Distanzen |
Ballistikkenntnisse nötig | Ja, für optimale Einstellung | Weniger, da intuitiver Zielpunkt |
Präzision auf kurze Distanz | Eingeschränkt | Sehr präzise |
Reichweite ohne Korrektur | Bis zu 180 Meter | Bis ca. 130-150 Meter |
Praktische Empfehlungen
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GEE für Kaliber und Jagdarten:
- .308 Win: GEE bei ca. 170-180 Meter (Treffpunktlage auf 100 m etwa 4 cm hoch).
- .30-06: Ähnliche Werte wie .308 Win.
- .223 Rem: GEE oft etwas kürzer, etwa 140-150 Meter.
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Einschießen je nach Jagdform:
- Ansitzjäger: Einschießen auf 100 Meter „Fleck“ ist intuitiv und ausreichend für Distanzen bis etwa 150 Meter.
- Drückjagd: Häufig werden Distanzen von unter 50 Metern angetroffen, hier ist das Einschießen auf Fleck (ggf. auf 50 Meter) sinnvoll.
- Weite Reviere: Für weite Feld- oder Bergjagdreviere ist das Einschießen auf GEE empfehlenswert, um den Zielkorridor zu maximieren.
- Ballistik-Apps nutzen: Moderne Ballistik-Apps helfen, die Flugbahn und GEE präzise zu berechnen. Sie berücksichtigen Kaliber, Geschossart, Mündungsgeschwindigkeit und Umgebungsfaktoren.
Die Wahl zwischen der günstigsten Einschussentfernung (GEE) und dem Einschießen auf 100 Meter „Fleck“ hängt von den individuellen Anforderungen, der Jagdform und dem Kaliber ab. Während GEE besonders in weiten Revieren und für vielseitige Jagdszenarien punktet, ist das Einschießen auf Fleck ideal für kurze bis mittlere Entfernungen und einfache Handhabung. Durch eine fundierte Ballistikanalyse und praktische Tests können Jäger die optimale Einstellung für ihre Bedürfnisse finden.
FYI
Unser Partner Roedale hat hierzu ein äußerst spannendes und aufschlussreiches Video abgedreht: